Wer eine Immobilie kauft, übernimmt nicht nur Rechte, sondern vor allem alle Pflichten des Eigentümers. Dazu gehört auch die Verantwortung für rechtswidrige (nicht konsensgemäße) Bauteile – und genau hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Eine Plan- bzw. Akteneinsicht bei der Baubehörde deckt auf, was wirklich genehmigt ist und welche Auflagen (noch) bestehen. Ohne diesen Schritt kann ein „Schnäppchen“ schnell zu einem teuren Sanierungs- oder Rückbauprojekt werden.
Was bedeutet „Konsens“ – und warum ist er so wichtig?
Der Konsens ist der behördlich genehmigte und bewilligte Zustand eines Gebäudes. Er ergibt sich aus Einreichplänen, Bescheiden, Nachträgen, Fertigstellungsanzeigen bzw. Benützungs-/Nutzungsbewilligungen sowie allfälligen Auflagen.
Abweichungen vom Konsens (z. B. zu groß dimensionierter Zubau, geänderte Nutzung, nicht erfüllte Auflagen) sind baurechtlich heikel und können zu Rückbauverfügungen, Verwaltungsstrafen, Nutzungsuntersagungen oder verwehrten Förderungen führen.
Was wird bei der Akteneinsicht geprüft?
Je nach Gemeinde/Magistrat (z. B. MA 37 in Wien oder Gemeindeamt/BH) können typischerweise eingesehen werden:
- Einreich- und Bestandspläne inkl. Nachträge/Planänderungen
- Baubescheide, Auflagen, Fristen, Protokolle (z. B. Brandschutz, Stellplätze)
- Fertigstellungsanzeige / Benützungs- bzw. Nutzungsbewilligung
- Anhängige Verfahren (Baugebrechen/Baupolizei, Abbruchauftrag, Nutzungsuntersagung)
- Widmung, Bebauungsbestimmungen (GRZ, GFZ, Bauklasse, Bauweise), evtl. Servitute
Ziel: Abgleichen, ob der heutige Bestand dem genehmigten Zustand entspricht – und ob offene behördliche Punkte existieren.
Risiken, wenn man darauf verzichtet
- Teurer Rückbau bei konsenslosen Umbauten (z. B. verglaste Loggia, ausgebauter Dachboden)
- Strafen & Verzögerungen bei nachträglicher Legalisierung (ohne Genehmigungsgarantie)
- Nutzungsuntersagung einzelner Bereiche (z. B. Keller als Wohnraum ohne Bewilligung)
- Probleme bei Finanzierung & Versicherung (unklare Konsenslage als Dealbreaker)
- Versagte Förderungen/Genehmigungen bei Sanierungen oder Umbauten
- Konflikte im Wohnungseigentum (abweichende Parifizierung vs. Baukonsens)
Speziell bei Wohnungseigentum (WEG)
- Parifizierungsplan vs. Baukonsens: Stimmen Nutzflächen, Raumwidmungen und Bauteile überein?
- Gemeinschaftsanlagen (Lift, Dach, Fassade): Wurden Auflagen umgesetzt?
- Sonderausbauten (z. B. Wintergarten): behördlich genehmigt oder nur „geduldet“?
- WEG-Beschlüsse sind kein Ersatz für die baubehördliche Genehmigung.
Rolle des Bauführers & Regressrisiken
Bei den meisten Bauvorhaben bestätigt ein Bauführer im Zuge der Fertigstellungsanzeige, dass die Ausführung dem Konsens entspricht. Bauführer sind in der Praxis regelmäßig Bauunternehmen.
Wichtig zu wissen:
- Die Bauführerbestätigung ersetzt nicht die eigene Prüfung der Konsenslage und des Ist-Bestands. Sie ist eine Erklärung der ausführenden Firma – nicht zwingend ein unabhängiges Gutachten.
- Jahre später existiert das ausführende Bauunternehmen oft nicht mehr (z. B. Geschäftsaufgabe/ Insolvenz). Regress wegen faktisch falscher Bekundungen ist dann praktisch kaum mehr durchsetzbar.
- Selbst wenn das Unternehmen noch besteht, können Verjährungsfristen abgelaufen sein – zusätzlich erschwert eine Beweisführung im Bestand häufig den Erfolg.
Konsequenz für Käufer:innen:
Verlassen Sie sich nicht allein auf die Bauführerbestätigung in den Akten. Prüfen Sie, wer Bauführer war, ob die Firma noch existiert, und lassen Sie Plan-Bestand-Abweichungen sowie offene Auflagen fachlich verifizieren. Das schützt vor dem Risiko, für fremde Ausführungsfehler zu bezahlen.
So gehen Sie praxisnah vor (Checkliste)
- Berechtigtes Interesse/Vollmacht klären
Kaufabsicht dokumentieren oder Vollmacht des Eigentümers/Maklers mitnehmen. - Objektdaten sammeln
Adresse, EZ, KG, Grundstücksnummer, TOP-Nummer(n) vorbereiten. - Akteneinsicht beantragen
Termin/Online-Anfrage je nach Behörde. Um digitale Kopien ersuchen. - Dokumente sichern & benennen
Bescheide, Pläne, Nachträge, Fertigstellungsanzeige inkl. Bauführerbestätigung, Benützungsbewilligung, Auflagen, Protokolle. - Bauführer prüfen
Wer war Bauführer? Existiert die Firma noch? Gibt es weitere Bestätigungen (z. B. Ziviltechniker/Prüfberichte)? - Plan-zu-Bestand-Abgleich
Maße, Raumwidmungen, Bauteile und Auflagen mit dem Ist-Zustand vergleichen. - Offene Punkte/Lückenliste
Fehlende Bewilligungen, unerledigte Auflagen, anhängige Verfahren, Fristen. - Folgen & Kosten bewerten
Rückbau-/Legalisierungskosten, Zeitbedarf, Genehmigungsrisiko, Bank/Versicherung. - Kaufentscheidung anpassen
Kaufpreis, Bedingungen (z. B. aufschiebende Bedingung: Legalisierung), Gewährleistung/Haftung regeln.
Typische „rote Flaggen“ aus der Praxis
- Fehlende Benützungsbewilligung trotz Fertigstellung
- Zubauten/Aufstockungen ohne Nachtragsbewilligung
- Nutzungsänderungen (z. B. Büro → Wohnen) ohne Genehmigung
- Brandschutzauflagen nie umgesetzt (Türen, Fluchtwege, Rauchabzug)
- Stellplatz- oder Grünflächenauflagen nicht erfüllt
- Baugebrechenverfahren oder Abbruchauftrag im Akt
- Widmungs- oder Bebauungsüberschreitungen (GFZ/GRZ, Bauklasse)
Recht & Technik gehören zusammen
Die Akteneinsicht zeigt die rechtliche Seite. Ob der bauliche Ist-Zustand dazu passt, klärt eine technische Bestandsaufnahme – idealerweise mit Mess- und Prüfverfahren (z. B. Laservermessung, Endoskopie, Thermografie, Blower-Door zur Luftdichtheit). Erst der Abgleich aus Recht + Technik liefert Kauf-Sicherheit.
Fazit
Eine Plan- und Akteneinsicht vor Kauf ist kein Formalakt, sondern Risikomanagement. Wer ohne Prüfung kauft, übernimmt oft fremde Versäumnisse – inklusive Kosten, Nerven und Zeitverlust. Mit klarer Konsenslage, sauberem Plan-Bestand-Abgleich, kritischer Würdigung der Bauführerbestätigung und einer Lückenliste treffen Sie informierte Entscheidungen, verhandeln bessere Konditionen und vermeiden teure Überraschungen.
Hinweis (keine Rechtsberatung)
Dieser Beitrag ersetzt keine individuelle Rechts- oder Behördenberatung. Zuständigkeiten, Verfahren und Dokumentenbezeichnungen können je nach Bundesland/Gemeinde variieren. Für verbindliche Auskünfte wenden Sie sich an die zuständige Baubehörde oder eine/n fachkundige/n Berater:in.
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